Nachrichten - Bündnis für nachhaltige Textilien

Schärfere Kriterien nötig: Ein Blick auf Probleme und Lücken bei Grünem Knopf und Textilbündnis

Angesichts einer gesetzlichen Regulierung für große Unternehmen zur Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten ab Januar 2023 (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, LKG) stellt sich die Frage, welche Rolle freiwillige Maßnahmen wie der Grüne Knopf oder das Bündnis für nachhaltige Textilien (Textilbündnis) zukünftig haben könnten.

FEMNET zusammen mit ca. 130 anderen NGOs hat sich stark für ein Lieferkettengesetz eingesetzt, das im Juli 2021 endlich noch von der alten Bundesregierung verabschiedet wurde. Das Gesetz wurde aufgrund des Einflusses von Wirtschaftsverbänden stark verwässert. Der Entwurf der EU-Kommission für ein Gesetz auf europäischer Ebene ist zumindest bei den Unternehmen, die erfasst werden,  weiter reichend, auch eine Klagemöglichkeit für Betroffene soll es geben. Aber immerhin: Es gibt in Deutschland ab 2023 eine gesetzliche Verpflichtung für Unternehmen, ihre Sorgfaltspflichten in ihrer Lieferkette wahrzunehmen. Diese gesetzliche Grundlage bietet das Fundament, auf dem freiwillige Initiativen wie das Textilbündnis oder der Grüne Knopf aufbauen können.

Das Textilbündnis

Nach dem Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch im April 2013 rief Bundesentwicklungsminister Gerd Müller 2014 das „Bündnis für nachhaltige Textilien“ – auch kurz Textilbündnis (TB) genannt – ins Leben. Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sollten gemeinsam die sozialen, ökologischen und ökonomischen Bedingungen in der Textilproduktion verbessern, „vom Baumwollfeld bis zum Kleiderbügel“. Das Textilbündnis ist eine so genannte Multi-Stakeholder-Initiative mit 125 Mitgliedern. An ihr beteiligen sich derzeit rund 70 Bekleidungsunternehmen, 15 Verbände, aber auch der DGB, Sieben Standardorganisationen, die Bundesregierung mit drei Ministerien sowie 16 Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Unternehmen verpflichten sich freiwillig zu einem sogenannten „Reviewprozess“, in dem sie alle zwei Jahre zeigen, wie sie ihrer Sorgfaltspflicht in der gesamten Lieferkette nachkommen. Hierzu veröffentlicht jedes Mitgliedsunternehmen einen Bericht, eine sog. Roadmap. Dieser Reviewprozess entspricht in großen Teilen dem, was das zukünftige LKG von Unternehmen verlangt. Unternehmen erhalten im TB Unterstützung und Beratung hinsichtlich der Umsetzung von Sorgfaltspflichten, sie werden damit optimal auf das LKG vorbereitet. Neben dieser individuellen Verpflichtung führt das TB Projekte in den Produktionsländern zu unterschiedlichen sozialen Themen (Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Spinnereien, existenzsichernde Löhne, Transparenz, geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz, Beschwerdemechanismen) und Umweltthemen (Abwasser, Chemikalien- und Umweltmanagement) durch.

NGOs, die sich am Textilbündnis beteiligen wie FEMNET, diskutieren immer wieder, ob sich der Aufwand lohnt angesichts magerer Fortschritte. Nach sieben Jahren wird immer noch in keinem Produktionsland annäherungsweise ein existenzsichernder Lohn gezahlt. An einer Initiative zu höheren Löhnen beteiligen sich gerade einmal 13 von 70 Mitgliedsunternehmen. Ihre Lieferkette legen nur 25 von 70 Unternehmen offen. Eine Wirkungsmessung scheiterte daran, dass sich nicht genügend Unternehmen daran beteiligen. Eine Auswertung der Angaben der Unternehmen in ihrer roadmap zum Thema Geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz von FEMNET zeigt, dass viele Unternehmen beim Thema Gender-based Violence noch sehr am Anfang stehen. Sieben Jahre Textilbündnis haben hier noch nicht zu flächendeckend umgesetzten Maßnahmen geführt, die das Risiko wirksam beheben würden. Die Ziele und Maßnahmen der Roadmaps lassen bezweifeln, dass sich dies bis 2023 bei der Mehrzahl der Unternehmen ändert. Dem Review Prozess fehlen ausreichend klare Vorgaben dazu, wie die Unternehmen die Wirkung ihrer Maßnahmen nachhalten und darüber berichten müssen.

Im Textilbündnis gibt es kleine Erfolge: Der überarbeitete „Reviewprozess bietet eine deutlich bessere Grundlage, um den Stand der Umsetzung von Sorgfaltspflichten bei Mitgliedsunternehmen zu erfassen. Positiv ist, dass er alle 11 Sektor-Risiken und alle Lieferkettenstufen betrachtet. Die Veröffentlichung der Roadmaps ist ein Erfolg, jeder kann sie auf der Webseite lesen. Es gibt einige Unternehmen, die konstruktiv mitarbeiten und auch selber etwas bewegen wollen – sie sind aber in der Minderheit. Den Verbraucher*innen oder der interessierten Öffentlichkeit erschließen sich die unterschiedlichen Ambitionsniveaus der Unternehmen nicht, weil dem Textilbündnis auch in seinem Review Prozess ein Bewertungsschema fehlt. Man kann nicht auf den ersten Blick Vorreiter und Nachzügler erkennen. Derartige Transparenz aber würde engagierte Unternehmen auszeichnen und gleichzeitig ein Ansporn für die anderen sein. Deshalb fordert die Zivilgesellschaft im Textilbündnis ein Bewertungsraster anhand von Leitplanken und Zielmarken, um Ambitionsniveau und Fortschritte bei den Unternehmen zu jedem der elf Risikothemen im Textilsektor (sog. Sektorrisiken) deutlich zu machen.

Entsprechende Verbesserungen und mehr Verbindlichkeit bremsen insbesondere die Verbände aus, die im Steuerungskreis den niedrigsten gemeinsamen Nenner der Unternehmen vertreten. So ist der Prozess für die NGOs oft frustrierend und es wird immer wieder hinterfragt, ob sich der Einsatz lohnt.

Es gibt aber auch ein paar gute Ansätze: So gibt es Bündnisinitiativen  wie die zur Erprobung eines Beschwerdemechanismus, allerdings beteiligen sich leider nur drei Unternehmen (s.Oliver, Seidensticker, Esprit) daran. FEMNET konnte eine Bündnisinitiative im indischen Bundesstaat Tamil Nadu initiieren, an der sich vier Unternehmen (Tchibo, Otto, KiK, Hugo Boss) sowie das BMZ beteiligen. Damit soll die Situation junger Mädchen im Alter von 14 bis 18 Jahren in den Spinnereien verbessert werden. Die Mädchen werden dort wie Sklavinnen festgehalten und schuften zu extrem niedrigen Löhnen bis zu zwölf Stunden lang – auch nachts. Mit Hilfe von lokalen NGOs wurden bisher Komitees gegen sexuelle Gewalt in Spinnereien aufgebaut. Parallel dazu wurde ein Dialog zwischen NGOs, Unternehmen und Regierung initiiert.

Grüner Knopf

Der im September 2019 vom BMZ geschaffene Grüne Knopf (GK) ist ein staatliches Metasiegel und kommt dem Bedürfnis von Verbraucher*innen nach, mehr Durchblick im Siegeldschungel für Textilien zu bekommen. Es ist ein Metasiegel, das sowohl das Produkt als auch das Unternehmen bewertet. Die Unternehmensbewertung beinhaltet eine Prüfung, ob das Unternehmen seiner menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflicht für die Lieferkette nachkommt – eine Verpflichtung, die auch das neue Lieferkettengesetz ab 2023 von großen Unternehmen verlangt. Indem der GK auch das Unternehmen und seine Einkaufspolitik prüft, geht er über übliche Produktsiegel hinaus. Diese Kombination von Unternehmensprüfung und Produktsiegel ist grundsätzlich begrüßenswert.

Allerdings ist der Grüne Knopf nur dann glaubwürdig, wenn seine Kriterien anspruchsvoll genug sind – und dies ist derzeit nicht der Fall. Denn das Siegel deckt bisher nicht die ganze Lieferkette ab, sondern nur die letzten Stufen der Verarbeitung: Konfektion und Nassprozesse wie Waschen und Färben. Die katastrophalen Bedingungen in den Spinnereien werden damit beispielsweise nicht erfasst, auch nicht Kinderarbeit in der Baumwollernte. Zudem wird bisher nur die Zahlung eines Mindestlohns zugesichert, nicht die eines existenzsichernden Lohns. Der gesetzliche Mindestlohn liegt dabei in den meisten Produktionsländern weit unter dem Lohn, der zur Existenzsicherung nötig wäre. Allgemein muss man davon ausgehen, dass der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn in den meisten Produktionsländern von Kleidung zwei- bis dreifach unter einem existenzsichernden Lohn liegt.

Im September 2021 feierte der GK sein zweijähriges Bestehen. Zu dem Zeitpunkt führten laut BMZ 78 Unternehmen – eine Verdreifachung der Zahl seit 2019 – das Siegel und 150 Mio Textilien mit GK wurden verkauft. Caritas, Diakonie sind große Abnehmer für Krankenhäuer und Altenheime, die Deutsche Bahn stattet ihre 43.000 Mitarbeiter*innen damit aus. Große internationale Modemarken wie H&M, Zara oder C&A sind allerdings noch nicht dabei, ihnen ist das Siegel zu „deutsch“.

Grüner Knopf 2.0 Unternehmensprüfung

Das BMZ beabsichtigt, den GK weiterzuentwickeln zum GK 2.0 und hat dazu einen Vorschlag entwickelt. Die finale Fassung soll Ende April veröffentlicht werden. Im Jahr 2021 gab es die Möglichkeit einer Kommentierung des Vorschlags, an der sich 45 Teilnehmende aus verschiedenen Stakeholdergruppen, darunter auch FEMNET, beteiligt haben

 Zwar ist beim GK.2.0 geplant, dass die Unternehmen für ihre Risikoanalyse und Beschwerdesysteme ihre gesamte Lieferkette konkret kennen sollen, allerdings sind beim Erstaudit nur genauere Kenntnisse bei Konfektion und Nassprozessen erforderlich, erst im Überwachungsaudit nach 3 Jahren muss das Unternehmen dann weitere Fortschritte beim Mapping seiner Lieferkette zeigen. Zudem wird keine Transparenz nach außen verlangt. Es gibt also keine Verpflichtung zur Veröffentlichung der Lieferantenliste, nicht einmal nur für die Konfektion. Dabei sind hier viele große Unternehmen (H&M, Tchibo, Aldi, Lidl, Hugo Boss) schon weiter, die auf ihrer Webseite ihre Lieferantenliste veröffentlichen.

Positiv zu sehen ist, dass Material- und Fasereinsatz neu in die Überprüfung aufgenommen werden sollen, die Lieferkette somit um eine weitere Produktionsstufe ansatzweise ausgeweitet werden soll, aber Arbeitsbedingungen in Spinnereien oder auf dem Baumwollfeld sind damit immer noch nicht ausreichend erfasst.

Positiv ist auch, dass eine Hinarbeit zu existenzsichernden Löhnen durch die Erfassung der Lücke zwischen derzeitigem und existenzsicherndem Lohn von Unternehmen gefordert wird. Allerdings verlangt der GK 2.0 weiterhin nicht die Zahlung von existenzsichernden Löhnen, nicht einmal Fortschritte bei der sukzessiven Anhebung, sondern nur die Vorlage einer Strategie für Lohnerhöhungen. Dies ist ernüchternd, denn seit vielen Jahren kämpfen die Textilarbeiterinnen für angemessene Löhne, die in der Corona-Pandemie sogar zurückgegangen sind. Pläne und Absichtserklärungen gab es schon viele, aber die Umsetzung bleibt aus.

FEMNET hat zusammen mit Public Eye nach einem Jahr GK die Berichterstattung von 31 Unternehmen überprüft, die seit Beginn dabei waren und musste schon 2020 feststellen, dass die Berichte unzureichend waren.

Die meisten Unternehmen berichteten nur oberflächlich über die Risiken in ihrer Lieferkette und benannten keine Maßnahmen, die sie zur Behebung besonders zentraler und häufiger Menschenrechtsverletzungen wie geschlechtsspezifische Gewalt in Fabriken oder Verletzungen der Vereinigungsfreiheit von Gewerkschaften, ergreifen. Durch die Fokussierung auf das Thema Zahlung von Löhnen im GK 2.0 drohen solche schweren Arbeitsrechtsverletzungen erneut vernachlässigt zu werden. Während im TB Unternehmen bei jedem einzelnen Sektor-Risiko, jeweils die schwersten und wahrscheinlichsten Probleme adressieren müssen, erlaubt der GK 2.0 voraussichtlich eine Prioritätensetzung auf besonders wesentliche Sektor-Risiken. Es ist also wieder möglich, dass Unternehmen Themen wie geschlechtsspezifische Gewalt oder Vereinigungsfreiheit „weg-priorisieren“.

Produktprüfung

Die konkret mit dem GK ausgewiesenen Produkte müssen bestimmte bestehende Siegel wie den Global Organic Textile Standard (GOTS) oder das Fair Trade Siegel erfüllen. Die Produktanforderungen prüft das BMZ beim GK aber nicht selber. Dies wird auch beim GK 2.0 so bleiben. Diese Siegel beruhen auf Fabrikaudits durch private Gewinn-orientierte Firmen. Audits sind bekanntermaßen nicht in der Lage, bestimmte Arbeitsrechtsverletzungen wie die Diskriminierung von Frauen oder die Behinderung von Gewerkschaftsarbeit zu erkennen. In den letzten 20 Jahren ist eine massive Sozialauditindustrie entstanden, ohne dass es zu wesentlichen Verbesserungen in diesen sensiblen Bereichen gekommen wäre.

Problematisch ist hier auch, dass diese Produktsiegel teilweise massive Lücken bei Menschenrechtsstandards haben und beispielsweise das GOTS-Siegel allenfalls im Umweltbereich, aber nicht für die Einhaltung von Sozialstandards vertrauenswürdig ist. Die Lücken dieser Produktsiegel führt der GK 2.0 damit fort.

Fazit

Einerseits ist es begrüßenswert, dass der GK die Sorgfaltspflicht von Unternehmen für ihre Lieferkette überprüft. Gleichzeitig ist der Anspruch des Metasiegels aber zu gering. Ich stimme der Aussage des wissenschaftlichen Beirats des GK hier voll zu: “Für die berechtigte Diskussion um das richtige Ambitionsniveau des GK 2.0 sollte im Zweifel ein hohes Ambitionsniveau und eine tiefe Durchdringung der Lieferkette Vorrang haben gegenüber dem Ziel, möglichst vielen Unternehmen eine Kennzeichnung von Produkten mit dem GK2.0 zu ermöglichen.“

Der GK wirbt mit „Sozial. Ökologisch. Staatlich. Unabhängig zertifiziert“.  Wie den obigen Ausführungen zu entnehmen ist, trifft diese Aussage nicht zu, schon gar nicht für die gesamte Lieferkette. Die Aussage suggeriert Verbraucher*innen, dass Produkte mit dem GK sozial hergestellt seien, aber es wird nicht einmal ein existenzsichernder Lohn in der Lieferkette gezahlt, noch gibt es eine Garantie, dass die Ware ohne Frauendiskriminierung oder andere Arbeitsrechtsverletzungen hergestellt wurde. Der Grüne Knopf 2.0 garantiert damit den Verbraucher*innen keine wesentlichen Verbesserungen in der Lieferkette. Es besteht somit die sehr reelle Gefahr des staatlich sanktionierten Greenwashings.

Die freiwilligen Initiativen wie der Grüne Knopf oder das Textilbündnis stellen dann einen Fortschritt dar, wenn sie in ihrem Anspruch weiter gehend sind als die gesetzlichen Anforderungen oder Siegel. Beim GK ist die starke Ausrichtung auf bestehende Produktsiegel mit ihren grundlegenden Schwächen ein Problem. Beim Textilbündnis droht die Gefahr, dass der Reviewprozess verwässert wird.  Stattdessen sollte aber die Chance genutzt werden, einen über gesetzliche Anforderungen hinausgehenden Anspruch zu verfolgen.

Dr. Gisela Burckhardt, Mai 2022

 

Publikationshinweis

Titelbild E+Z Mai 2022Eine redigierte Version dieses Artikels erschien im Mai 2022 in der Zeitschrift E+Z, S. 32-33

Schärfere Kriterien nötig

GK 2.0, 'GK 2.0'

Jetzt spenden