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Shahidul Islam

© Shahidul Islam

Ermordung eines Gewerkschafters während der Mindestlohnverhandlungen in Bangladesch

Nach fünf Jahren soll der Mindestlohn in Bangladesch neu ausgehandelt werden. Gewerkschaften fordern eine Erhöhung des Lohnes auf 23.000 Taka, um die Grundversorgung der Arbeiter*innen zu sichern. In den letzten Monaten kommt es immer häufiger zu Einschüchterungen von Gewerkschaften seitens der Fabrikbesitzer*innen. Nach der Ermordung des Gewerkschafters Shahidul Islam erreichen FEMNET weitere besorgniserregende Nachrichten, die auf ein wachsendes Risiko für Arbeiter*innen und Gewerkschafter*innen hindeuten.

Im April formte die Regierung in Bangladesch einen Mindestlohnausschuss (minimum wage board), um die Löhne im Bekleidungssektor zu überprüfen. Bei der letzten Lohnanpassung im Jahr 2018 wurde der Mindestlohn auf 8000 Taka (ca. 68€) festgelegt. Schon damals hat dieser für die Bekleidungsarbeiter*innen kaum zum Leben gereicht. Durch folgende Krisen gerieten viele Arbeiter*innen und ihre Familien in existenzielle Not: Temporäre Ladenschließungen in Europa, schrumpfende Umsätze und stornierte Aufträge der westlichen Marken führten dazu, dass zahlreiche Bekleidungsarbeiter*innen ihren Job verloren. Kaum erholte sich der Bekleidungsmarkt von der Pandemie und ließ die Menschen in den Produktionsländern auf beständige Einkommen hoffen, führten steigende Inflationsraten durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine erneut dazu, dass Familien nicht genug Lohn erhielten, um die Kosten des Alltags decken zu können. Laut Berechnungen von BILS (Bangladesh Institute of Labour Studies) benötigen Arbeiter*innen fast das Dreifache des aktuellen Mindestlohns (23.000 Taka = ca. 194€), um ein würdevolles Leben führen zu können.

Der Mord an Shahidul Islam und seine Folgen für die Gewerkschaftsarbeit

Von Partnerorganisationen hört FEMNET nun vermehrt, dass Fabrikbesitzer*innen die Arbeit von Gewerkschaften unterdrücken und Aktive einschüchtern. Dass einige Fabrikbesitzer*innen mittlerweile auch schwere körperlichen Angriffe als Mittel der Einschüchterung wählen, zeigte die brutale Ermordung des Gewerkschaftsführers Shahidul Islam. Er war Organisator der BGIWF (Bangladesh Garment and Industrial Workers Federation) und kämpfte über 25 Jahre für die Einhaltung von Arbeitsrechten in der Bekleidungsbranche. Der angesehene Gewerkschafter sowie seine Kolleg*innen wurden angegriffen, nachdem sie eine Sitzung mit der Fabrikleitung von Prince Jacquard Sweaters Ltd. verlassen hatten. Sie halfen den Arbeiter*innen dabei, die ihnen zustehenden Löhne zu erhalten. Die Angreifer*innen schlugen und traten Shahidul Islam bis zur Bewusstlosigkeit. In einem nahegelegenen Krankenhaus wurde er wenig später für tot erklärt.

Der gewaltvolle Mord an Shahidul Islam ist eine schmerzhafte Erinnerung an die zunehmenden Gefahren für Arbeiter*innen und Aktivist*innen in Bangladesch, die sich für ihre Rechte stark machen. Die Clean Clothes Campaign (CCC) geht davon aus, dass der Mord an Shahidul Islam zur Einschüchterung der Arbeiter*innen beiträgt und die Organisationsarbeit von Gewerkschaftsführer*innen weiter erschwert. Kalpona Akter, Präsidentin des BGIWF und Direktorin von FEMNETs Partnerorganisation BCWS (Bangladesh Center for Workers Solidarity) kritisiert die gezielte Unterstützung arbeitgebernaher Gewerkschaften (gelbe Gewerkschaften) seitens der Wirtschaft und sagt: „Shahidul mobilisierte Tausende von Arbeiter*innen, um Gewerkschaften beizutreten, und befähigte sie, Führungskräfte auf Fabrikebene zu werden. Im Laufe seines Lebens hat er Tausenden von Arbeiter*innen geholfen, die von ihren Arbeitgebern zu Unrecht verweigerten Rückstände und Abfindungen zu erhalten. (...) Die jahrelange Förderung der gelben Gewerkschaften durch die Industrie und die Vernachlässigung der Stimmen der Arbeitnehmer waren der Grund für seinen Tod. Sein Beitrag zur Gewerkschaftsbewegung war bemerkenswert und wird schmerzlich vermisst werden.“

Weitere Todesfälle von Arbeitern

Kurz nach der Nachricht des Mordes an Shahidul Islam wurde FEMNET über weitere Todesfälle in Kenntnis gesetzt. FEMNETs Partnerorganisation NGWF, eine der größten Gewerkschaften des Landes, bittet um die Unterstützung bei der Aufklärung eines weiteren Mordes an einem Arbeiter.  Rabiul Islam wurde am 31. Juli in Ashulia von einer großen Gruppe von Männern entführt; wenig später wurde seine Leiche in einem Sack in der 9km entfernten Stadt Dhamrai gefunden. Laut NGWF war er Aufseher in der Fabrik, aber auch als Gewerkschafter aktiv. Sein zunehmender Einfluss sei Grund für seine Ermordung gewesen. Da es für die Verknüpfung des Mordes mit dem Fabrikmanagement zum derzeitigen Zeitpunkt keine eindeutigen Beweise gibt, fordert FEMNET die bangladeschische Regierung und den Arbeitgeberverband BGMEA auf, eine schnellstmögliche Untersuchung und Aufklärung des Falles zu veranlassen.

Ein weiterer Todesfall ereignete sich in einer Fabrik der Shinest Group. Ein Arbeiter, ebenfalls mit dem Namen Rabiul Islam, wurde von der Abdeckung eines Heizkessels erschlagen und verstarb am 3. August 2023. Die genannte Fabrik fällt unter den Accord und sollte daher regelmäßig vom RSC (RMG Sustainability Council) untersucht werden, sodass Arbeitsunfälle wie dieser verhindert werden können. In einem kürzlich erschienenen Report des Centre for Policy Dialogue (CPD) wird die Zunahme der Unglücke in Fabriken seit der Übernahme des Accords vom RSC kritisiert. Ergebnisse der Untersuchung deuten zudem darauf hin, dass die Effektivität der Untersuchungen seit 2021 nachgelassen habe. Darüber hinaus fordert CPD mehr Transparenz und Verbesserungen bei Beschwerdemechanismen.

Die derzeitige Situation der Bekleidungsarbeiter*innen in Bangladesch zeigt erneut, dass hart erkämpfte Arbeitsrechte in den letzten Jahren an Bedeutung verloren haben. Der Druck auf die Bekleidungsindustrie durch andauernde Auswirkungen der globalen Krisen hat zur Folge, dass Arbeiter*innen und Gewerkschafter*innen einer größer werdenden Gefahr ausgesetzt sind, wenn sie für ihre Rechte kämpfen. FEMNET fordert daher alle Marken, die aus Bangladesch Bekleidung beziehen und das Textilbündnis auf, die 23.000-Taka-Forderung der Gewerkschaften zu unterstützen und die Vereinigungsfreiheit der Gewerkschaften sicher zu stellen - denn gerade in dieser kritischen Phase der Lohnverhandlungen sollten Arbeiter*innen die Möglichkeit haben, ihre Forderungen frei zu äußern, ohne anschließend Repressalien fürchten zu müssen.

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