BANGLADESCH
164 Millionen Einwohner_innen
4 Millionen Beschäftigte in der Textilindustrie

Im Profil: Bangladeschs Bekleidungsindustrie

Bangladesch gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Gleichzeitig ist Bangladesch nach China der weltweit größte Exporteur von Bekleidung, die rund 80 % der Exporterlöse des Landes erwirtschaftet. Über vier Millionen Beschäftigte, davon 3,2 Millionen Frauen, leben von der Arbeit in der Bekleidungsindustrie.

Die extrem niedrigen Lohnkosten in Bangladesch haben zu einem spektakulären Wachstum der Industrie in den letzten Jahrzehnten geführt. Die Löhne sind so niedrig, dass eine Näherin bis zu 100 Überstunden im Monat leistet, um überleben zu können. In Bangladesch ist es extrem schwierig, in den Fabriken Gewerkschaften zu gründen und diese offiziell anerkennen zu lassen. In knapp 400 von insgesamt ca. 5000 Fabriken gibt es registrierte Gewerkschaften, häufig handelt es sich hierbei um vom Fabrikmanagement ausgewählte Personen, anstatt legitime Vertretungen der Arbeiterschaft.

Traurige Berühmtheit erlangte Bangladesch mit einer der größten Industriekatastrophen, die es je gegeben hat: Am 24. April 2013 stürzte das Fabrikgebäude Rana Plaza ein und riss 1.134 Näher*innen in den Tod, mehr als 1.800 Menschen wurden verletzt. In dem Gebäude produzierten fünf Textilfabriken, viele für große Modefirmen, deren Produkte auch in unseren Kleiderschränken hängen.

Nach der Katastrophe beteuerte die gesamte Modeindustrie: „Nie wieder Rana Plaza!“

Der Imageschaden für die Modefirmen war so groß, dass es schien, als würde endlich Bewegung in die Branche kommen: Das Abkommen für Gebäude- und Brandschutz Accord, das einen Meilenstein für die Sicherheit von Arbeiterinnen in Bangladesch darstellte, wurde unterzeichnet, in Deutschland wurde als Reaktion auf die Katastrophe das Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet. Doch sechs Jahre nach der schrecklichen Katastrophe dominieren in Bangladesch weiterhin Repression und Armutslöhne in der Bekleidungsindustrie. Als im Dezember 2016 in der Textilregion Ashulia in Bangladesch Tausende Arbeiter*innen für einen höheren Mindestlohn streikten, schlugen Fabrikbesitzer und Regierung unbarmherzig zurück, um die Arbeiter*innen und Gewerkschaften einzuschüchtern. 600 Arbeiter*innen und Gewerkschafter*innen wurden angeklagt, 1600 wurden gefeuert, 26 wurden inhaftiert. Anfang des Jahres 2019 kam es zu ähnlichen Repressalien bei Streiks für höhere Löhne.

Bangladesch in Zahlen

  • etwa 164 Mio. Einwohner*innen
  • weltweit zweitwichtigstes Produktionsland für Bekleidung
  • jährlicher Export von Bekleidung im Wert von ca. 25 Milliarden US-Dollar
  • Anteil industriell hergestellter Massen-Konfektions­kleidung an den Exporteinnahmen: mehr als 80 %
  • rund 7.000 Fabriken
  • etwa 80 % weibliche Beschäftigte
  • Mindestlohn: 8.000 Taka/Monat (ca. 63 Euro, Stand 07/2019)

Bangladesch hat Indien auch als zweitgrößten Strickwarenexporteur der Welt nach China überholt. Da die Lohnkosten in China in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind, wandern immer mehr Unternehmen in Länder mit billigeren Arbeitskräften wie Bangladesch, Myanmar oder Äthiopien ab. Diese niedrigen Lohnkosten gehen zu Lasten der Arbeiterinnen, die mit Löhnen unter dem Existenzniveau, Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz sowie massiven Einschränkungen anderer Arbeitsrechte die billige Kleidung für Europa ermöglichen.

Beschäftigung in der Bekleidungsindustrie

Frauen über 30 Jahre werden als zu alt betrachtet, um den ungeheuren Arbeitsdruck auszuhalten. Die jungen Arbeiterinnen stammen zumeist aus ländlichen Gebieten. Aufgrund einer geringen Schulbildung und des Arbeitsplatzmangels in den ländlichen Regionen sind sie gezwungen in die Städte zu ziehen, um dort Geld zu verdienen. Trotz größtenteils miserabler Arbeits- und Sozialstandards bietet die Bekleidungsindustrie für die Frauen oft die einzige Möglichkeit, ein Einkommen zu erzielen. Die jungen Frauen unterstützen mit ihrem Einkommen ihre Eltern auf dem Land und sind oft Alleinernährerin ihrer Kinder und Ehemänner, die häufig ohne Arbeit sind. Eine Sozialversicherung steht oft nur auf dem Papier, Krankheitskosten werden selten übernommen. Erschöpfungsbedingte Krankheiten sind weit verbreitet.

Junge Textilarbeiterinnen bei sich zuhause, Dhaka, Bangladesch, 2019. Foto: &Copy; Sina Marx | FEMNETTextilarbeiterinnen bei sich zuhause, Dhaka, Bangladesch 2019 © Sina Marx / FEMNET

Während mit der Arbeit in einer Fabrik auch ein Gesichtsverlust für die Frauen verbunden ist, da sie dort den Blicken von Männern ausgesetzt sind, gewinnen sie durch ihr Einkommen, das eben häufig nicht nur ein „Zuverdienst“ ist, sondern die Haupteinkommensquelle der Familie, auch eine gewisse ökonomische Unabhängigkeit, die wiederum ihr Ansehen und Selbstbewusstsein stärkt. Jedoch bleibt es oftmals nicht bei den Blicken durch Aufseher: Viele Arbeiterinnen werden sexuell belästigt, gedemütigt und beschimpft.

Verfolgung von Gewerkschafter*innen

Wollen sich die Arbeiter*innen gewerkschaftlich organisieren, werden sie oftmals entlassen, unter Druck gesetzt und sogar tätlich angegriffen. Deshalb ist auch nur ein kleiner Teil der Näherinnen gewerkschaftlich organisiert. Die Angst, die Arbeit zu verlieren, ist zu groß und zudem bleibt kaum Zeit für gewerkschaftliche Arbeit, die nach der Arbeit gemacht werden muss, wenn man bis in die Nächte hinein schuftet. Dennoch sind die Gewerkschaften sehr aktiv, organisieren Sit-ins und Streiks. Sie sind allerdings auch in viele Gruppen zersplittert, was ihre Schlagkraft schwächt. Gewerkschafter*innen und Arbeitsrechtler*innen werden schikaniert, inhaftiert und riskieren auch ihr Leben. Immer wieder werden bei Zusammenstößen zwischen der Polizei und streikenden Textilarbeiter*innen Menschen getötet, Aktivist*innen gefoltert oder entführt.

Mangelnde Durchsetzung von Recht

Die rechtliche Situation ist in Bangladesch nicht einmal schlecht: Die bangladeschische Rechtsordnung enthält eine Vielzahl von Schutzmaßnahmen. Das Land hat sieben der acht ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert, ebenso die drei wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen mit arbeitsrechtlichen Bezügen. Seit dem Erlass des nationalen Arbeitsgesetzes im Jahr 2006 hat sich der Arbeitnehmerschutz leicht verbessert.  So deckt das Arbeitsgesetz etwa die Bereiche Belästigung und Diskriminierung, Kinderarbeit, Mitgliedschaft in Gewerkschaften, Urlaubsregelungen und Sicherheit am Arbeitsplatz vollständig ab. Gleichzeitig enthält es noch Schwachstellen in Hinblick auf Mindestalter und Niedriglöhne. Das Problem liegt vor allem in der mangelnden Durchsetzung von Recht durch die Behörden und einem fehlenden wirksamen Rechtsschutz für die Betroffenen. Mangelnde Kontrollen, schwach ausgebildete Rechtsstaatsstrukturen, unterbesetzte und unterfinanzierte Gerichte, Korruption und Vetternwirtschaft sind weit verbreitet.

 

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