Nachrichten aus den Produktionsländern Nachrichten aus Bangladesch

Näherin in Heimarbeit, Bangladesch 2023

© FEMNET

Die Zukunft Bangladeschs: Was wird aus den Menschen, die unsere Kleidung nähen?

Das Jahr 2023 hat auf grausame Art offenbart, unter welch starken Repressionen Arbeiter*innen und Gewerkschafter*innen in Bangladesch leiden. In Protesten für einen neuen Mindestlohn wurden vier Menschen getötet, Aktivist*innen bedroht, und die Zivilgesellschaft zunehmend eingeschränkt. Stellungnahmen einkaufender westlicher Modemarken blieben größtenteils aus. Was bedeuten diese Entwicklungen für das Leben der Frauen in der Bekleidungsindustrie und wie geht es nun mit der wohl wichtigsten Branche Bangladeschs weiter?

Im Jahr 2023 wurde in Bangladesch das erste Mal seit fünf Jahren ein Mindestlohnausschuss für die Bekleidungsbranche einberufen. Nicht nur die Formung des Ausschusses, sondern der gesamte Prozess waren langwierig und intransparent. So wurde beispielsweise die Vertretung der Arbeitnehmer*innen nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, von der größten Gewerkschaft des Landes – der National Garment Workers Federation – gestellt, sondern mit einem wirtschafts- und regierungsnahen Gewerkschaftsvertreter besetzt. Verhandlungen und Entscheidungen wurden verschoben, sodass zuletzt fast ein Jahr verging, bevor die neuen Mindestlöhne beschlossen wurden. Die Forderungen der Gewerkschaften, die sich auf Grundlage einer umfassenden Studie des Bangladesh Institute for Labour Studies (BILS)[1] mehrheitlich auf ein Minimum von 23.000 Taka (ca. 195€) beliefen, wurden dabei nur ungenügend berücksichtigt.

Der neue Mindestlohn reicht nicht zum Leben

Der ehemalige Mindestlohn von 8.000 Taka hat schon bei seiner Einführung nicht für ein würdiges Leben gereicht, in den folgenden Jahren haben die Coronakrise und steigende Inflationsraten dazu geführt, dass Arbeiter*innen und ihre Familien Mahlzeiten ausfallen lassen mussten, um über die Runden zu kommen. Als der Arbeitgebervertreter dann im Oktober 2023 seine Empfehlung von 10.400 Taka verkündete, führte das zurecht zu großer Frustration bei den Menschen, die Kleidung für westliche Modemarken nähen. Der ernüchternde Vorschlag verschärfte also die bereits vorher gestarteten Lohnproteste und führte letztendlich zu zahlreichen Ausschreitungen. Im November wurde der neue Mindestlohn von Premierministerin Sheikh Hasina dann auf 12.500 Taka festgelegt.

Noch immer befinden sich dutzende Arbeiter*innen und Gewerkschafter*innen in Haft

Arbeiter*innen, die ihr Recht auf Versammlungs- und Protestfreiheit wahrnahmen, wurden mit Gummigeschossen, Tränengas und Wasserwerfern attackiert. Laut der Clean Clothes Campaign (CCC) wurden über 40.000 protestierende Arbeiter*innen unrechtmäßig angeklagt, 131 wurden inhaftiert und vier Menschen wurden bei den Protesten getötet. Zudem starteten Fabriken mit schwarzen Listen, auf denen Arbeiter*innen vermerkt werden, die sich offenkundig für einen höheren Lohn einsetzen. Zeitgleich wurden – und werden – Gewerkschafter*innen verfolgt und bedroht. Viele der Inhaftierten wurden nach den Parlamentswahlen am 7. Januar auf Kaution freigelassen, doch noch immer befinden sich etwa 40 Menschen im Gefängnis. FEMNET und die CCC fordern deswegen die westlichen Marken auf, dafür zu sorgen, dass alle falschen Anschuldigungen gegen die Arbeiter*innen fallen gelassen werden.

Starke Repressionen erschweren die Arbeit der Gewerkschaften

Das repressiver werdende Umfeld hat sich nicht nur durch die Gewalt gegen die Protestierenden und die zunehmende Überwachung der Gewerkschaften offenbart. Bereits vor den Protesten zu den Mindestlohnverhandlungen wurde der Gewerkschafter Shahidul Islam (BGIWF) getötet, nachdem er im Gespräch mit der Fabrikleitung von Prince Jacquard Sweaters Ltd. Arbeiter*innen in einem Lohnstreit unterstützte. Im Dezember erklärte das Zivilgesellschaftsbündnis CIVICUS den zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum in Bangladesch als „geschlossen“, nachdem die Regierungspartei, geführt von Sheikh Hasina, im Vorfeld der Wahlen im Januar 2024 gezielt oppositionelle Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen, Demonstrant*innen und andere Kritiker*innen einschüchterte, verhaftete und folterte. Bangladesch gehört mit dem Status "geschlossen" nun zu den 28 repressivsten Ländern der Erde.

Viele Marken im Textilbündnis blieben still

Die CCC schrieb mehrere Briefe an Marken wie C&A, H&M, Primark, Zalando, Esprit und Aldi und forderte diese auf, die Forderung der Gewerkschaften zu unterstützen. Auch die Zivilgesellschaft im Textilbündnis adressierte einen Brief an die Marken im Bündnis, in dem sie aufrief, eine Beschwerde an den Lohnausschuss zu unterstützen und die geringe Erhöhung auf 12.500 Taka zu kritisieren. Leider folgten nur wenige Unternehmen (u.a. Hugo Boss, Vaude und Kik) dem Aufruf, obwohl viele der Marken im Textilbündnis schon lange beteuern, sich für Existenzlöhne einzusetzen. Modemarken müssen endlich ihre Stimme erheben und die Gewalt gegen die Beschäftigten und die Unterdrückung der Gewerkschaften verurteilen. Zudem müssen sie ihre Einkaufspreise so anpassen, dass mindestens 23.000 Taka (ca. 195€) pro Monat gezahlt werden können. Die Zusage existenzsichernder Löhne bleibt ein leeres Versprechen, solange die Markenunternehmen die Zulieferbetriebe weiterhin über den Preis unter Druck setzen und die Auswirkungen ihrer Einkaufspraktiken auf das Leben der Bekleidungsarbeiter*innen ignorieren.

Was bedeutet der neue Mindestlohn für die Arbeiter*innen?

Der Verband der Bekleidungsexporteure in Bangladesch (BGMEA) stellt den neuen Mindestlohn von 12.500 Taka als eine Lohnerhöhung von 56% dar, Untersuchungen des Worker Rights Consortium (WRC) zeigen jedoch, dass die reale Erhöhung nur 14% beträgt, wenn man die Inflation seit 2018 berücksichtigt. Die Bekleidungsarbeiter*innen müssen nun also weiterhin für Hungerlöhne arbeiten, ohne Aussicht auf eine baldige Lohnrevision. Für Näher*innen wie Kadiza bedeutet das, dass sie bei einer Arbeitszeit von mindestens 48 Stunden in der Woche nicht genug Geld für ein würdevolles Leben verdienen. Und das, obwohl die Arbeit körperlich sehr anstrengend ist und den Arbeiter*innen viel abverlangt. Kadiza sagt „Bei der Arbeit bin ich einem hohen Leistungsdruck ausgesetzt. Ich muss 120 Teile in der Stunde schaffen.“ Auch Mazuma beschwert sich: „Mein Sohn ist bereits 4 Jahre alt, aber er spricht nicht. Ich würde das gerne untersuchen lassen, um herauszufinden, wie ich ihn unterstützen kann – aber ich habe keine finanziellen Möglichkeiten.“

Jetzt Video mit Youtube -Cookies laden

 

Der neue Lohn von 12.500 Taka wird die Situation der Arbeiter*innen nicht verbessern. Im Januar hören wir, dass in einigen Stadtteilen die Mieten angehoben wurden, somit verpufft für manche die Erhöhung direkt nach der Einführung. Zudem scheinen etwa 30-40% der Fabriken den neuen Lohn im Januar noch nicht eingeführt zu haben. Das neue Lohnsystem besteht aus fünf statt zuvor sieben Stufen. Diese Vereinheitlichung wurde von Gewerkschaften gefordert, allerdings führt sie anscheinend noch zu Unstimmigkeiten darüber, in welche Kategorie die Arbeiter*innen fallen.

Bangladeschische Regierung mit eiserner Faust gegen die Arbeiter*innen

Im Protest für einen Lohn, der zum Leben reicht, haben die Arbeiter*innen wenig Empathie aus der Politik erfahren. Premierministerin Sheikh Hasina äußerte sich kurz nach der Festlegung des neuen Mindestlohnes abschätzig gegenüber den Protestierenden. Laut Hasina sollte den Arbeiter*innen bewusst sein, dass sie mit ihren Protesten ihre Jobs riskieren und bei Entlassung „zurück in ihre Dörfer“ gehen müssten. Auch von Seite der Fabrikbesitzer kam kein Verständnis. Faruque Hassan, Präsident des Arbeitgeberverbandes BGMEA, machte durch eine öffentliche Stellungnahme deutlich, dass er kein Verständnis für die Lebensrealität der Arbeiter*innen hat und zudem über gesetzliche Regelungen zur Arbeitszeit entweder nicht Bescheid weiß oder sie gerne ignoriert. In der Stellungnahme argumentiert Hassan zum Beispiel, dass Arbeiter*innen mit täglich zwei bis vier Überstunden wesentlich mehr als den Mindestlohn mit nach Hause nähmen. Abgesehen davon, dass die Rechtfertigung einer täglichen Arbeitszeit von zwölf Stunden absolut inakzeptabel ist, sind exzessive Überstunden auch laut Gesetz verboten: Artikel 102 des Arbeitsgesetzes legt die regelmäßige Wochenarbeitszeit auf maximal 48 Stunden fest. Einschließlich der Überstunden liegt die Obergrenze bei 60 Stunden pro Woche, im Durchschnitt darf sie jedoch 56 Stunden nicht überschreiten. Das Gesetz erlaubt Verlängerungen in Ausnahmesituationen, allerdings nur für maximal sechs Monate. Der reguläre Lohn allein muss demnach ein Leben in Würde ermöglichen – wenn er das nicht tut und Arbeiter*innen dauerhaft auf Überstunden angewiesen sind, handelt es sich um eine Form der Zwangsarbeit.

Wie geht es nun weiter?

Die Zukunft Bangladeschs ist auch für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ein großes Thema. Die Asien-Strategie des BMZ wird als „innovativ, sozial und feministisch“ definiert und die Situation der Frauen in der Bekleidungsindustrie thematisiert. Die Geschlechtergleichstellung wird als Querschnittsthema in der Entwicklungspolitik betrachtet und Themen wie geschlechtsbasierte Gewalt am Arbeitsplatz finden Platz. Lösungsstrategien für die wachsenden Repressionen gegen die Gewerkschaften, den schrumpfenden Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft und die damit einhergehende massive Einschränkung von Menschen- und Freiheitsrechten findet man in der Strategie jedoch nicht. Der Fokus wird auf „grüne“ Themen wie Kreislauffähigkeit und Umweltschutz gelegt. Die Priorisierung dieser Themen ist nachvollziehbar, jedoch ist die soziale Komponente der Nachhaltigkeit und somit die Sicherung des alltäglichen Lebens der Arbeiter*innen ebenfalls von zentraler Bedeutung.

Systeme mit Wirkung

Neben den negativen Entwicklungen, die sich im Jahr 2023 gezeigt haben, gibt es auch Lichtblicke, die beweisen, dass sich Bemühungen für die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen weiterhin lohnen und positive Auswirkungen auf das Leben der Arbeiter*innen haben. Im November 2023 wurde das Internationale Übereinkommen über Sicherheit und Gesundheitsschutz in der Textil- und Bekleidungsindustrie, der Accord, neu verhandelt und unterzeichnet. Das Länderprogramm Bangladesch wurde bereits von 128 Marken unterschrieben, die sich dauerhaft verpflichten, sich für die Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz in ihren Lieferketten zu engagieren. Dazu gehören Fabrikinspektionen und Sanierungsmaßnahmen, Sensibilisierungsprogramme für Arbeiter*innen, die Achtung der Vereinigungsfreiheit und ein unabhängiger Beschwerdemechanismus. Ein weiteres Vorhaben im Bereich Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz (OSH, Occupational Safety and Health) ist das Employment Injury Scheme (EIS), ein Projekt zur Einführung einer Unfallversicherung. Das Pilotprojekt wird von Marken wie C&A, H&M, Primark, Tchibo, KiK und Puma unterstützt und soll den Weg hin zu einer nachhaltigen Unfallversicherung ebnen, die von der Regierung getragen wird.

Das letzte Jahr hat uns vor Augen geführt, in welch repressivem Umfeld unsere Partner*innen in Bangladesch agieren müssen. Das erschwert die Zusammenarbeit FEMNETs mit den lokalen Gewerkschaften, doch es zeigt auch, wie unerbittlich die Arbeiter*innen und Aktivist*innen ihren Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne weiterführen. Dies macht Hoffnung auf eine baldige Verbesserung der Situation, die zum großen Teil von der Bereitschaft der hiesigen Marken abhängt, die Menschen in ihren Lieferketten aktiv in ihren Forderungen zu unterstützen und ihre Einkaufpraktiken und Preispolitiken anzupassen. Deswegen setzen wir uns für eine starke Gesetzeslage sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene ein. Unsere Erfahrung hat gezeigt: Nur verbindliche Regularien können einen schnellen Wandel hervorrufen und Menschen und Umwelt aktiv vor Ausbeutung schützen.

 

[1] Die Studie „MIND THE GAP - A Study on Garment Workers in Bangladesh“ wurde im Rahmen des gemeinsamen MAP-Projektes „Stärkung der Zivilgesellschaft im Bündnis für nachhaltige Textilien in den Produktionsländern der globalen Textilindustrie und in Deutschland“ von BILS verfasst und von den Organisationen SÜDWIND Institut, INKOTA-netzwerk, HEJSupport und FEMNET unterstützt.

Jetzt spenden