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Fabrikhalle mit Näherinnen an den Maschinen

© CIVIDEP, Indien

Überarbeitung des Fabrikgesetzes in Karnataka und seine Folgen für Arbeiterinnen, Marken und Lieferanten im Bekleidungssektor

Im indischen Bundesstaat Karnataka, mit seiner Hochburg der Textilindustrie Bengaluru, stehen drastische Änderungen eines wichtigen Arbeitsgetzes kurz vor der Umsetzung. Der sogenannte Factories Bill 2023, Karnataka Amendment löst einen bis dato geltenden Standard ab. Wichtige arbeitsrechtliche Errungenschaften wie etwa die Abschaffung von Nachtschichten oder die Einführung des 8-Stunden-Tagen sollen aufgehoben werden. Das geänderte Gesetz soll den Zulieferern mehr Spielraum gewähren, um flexibler auf Auftragslagen reagieren zu können. Die Arbeitsrechtorganisation Cividep erwartet deutliche Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen für tausende weibliche Beschäftigte.

Ein Gastbeitrag von Pradeepan Ravi & Sreyan Chatterjee (Cividep India)

Während die neuen Arbeitsgesetze in Indien noch auf ihre vollständige Umsetzung warten, verabschiedete die Legislative des Bundesstaates Karnataka bereits im Februar den Gesetzentwurf (Factories Bill 2023, Karnataka Amendment) zur Änderung des Fabrikgesetzes von 1948 (Factories Act). Der in beiden Kammern verabschiedete Gesetzesentwurf konzentriert sich auf Änderungen in Bezug auf Arbeitszeiten, Ruhepausen und die Beschäftigung von Frauen in Nachtschichten. Das Gesetz muss nun noch vom Gouverneur genehmigt werden, damit es in Kraft treten kann.

Die jüngste Änderung ist insofern von Bedeutung, als das Fabrikgesetz die Standards für die Arbeitsbedingungen im Produktionssektor, einschließlich der Bekleidungsindustrie, festlegt, in der überwiegend weibliche Arbeitskräfte beschäftigt sind. Die Änderungen zielen zwar darauf ab, den Arbeitgeber*innen mehr Flexibilität bei der Planung von Personal und Produktion einzuräumen, berücksichtigen aber nicht das Machtungleichgewicht in den Betrieben und könnten die Arbeitsbedingungen und das Wohlergehen der Arbeiter*innen verschlechtern.

Vorgeschlagene Änderungen

  • Die Änderung von Abschnitt 54 des Gesetzes würde es der Regierung im Bundesstaat Karnataka ermöglichen, 12-Stunden-Schichten in Fabriken zuzulassen, wobei die wöchentliche Höchstarbeitszeit auf 48 Stunden begrenzt ist. Die geänderten Vorschriften sehen jedoch vor, dass die tägliche Arbeitszeit unter der Bedingung geändert werden kann, dass die schriftliche Zustimmung der Arbeiterin eingeholt wird und die übrigen Tage der Woche bezahlter Urlaub sind. Möglicherweise könnte diese Änderung den Arbeitgeber*innen den Weg für mehr Flexibilität bei der Festlegung der Anzahl der Arbeitstage pro Woche ebnen, die vier, fünf oder sechs Tage betragen könnte.
  • Durch die Änderung von Abschnitt 55 des Gesetzes wird die Regierung ermächtigt, die Gesamtarbeitszeit ohne Ruhepausen auf bis zu 6 Stunden pro Tag zu erhöhen. Zuvor waren es 5 Stunden ohne Pausen.
  • Gemäß der Änderung von Abschnitt 56 kann die Regierung Arbeitgeber*innen mitteilen, dass die Höchstgrenze für die Verteilung der Arbeitszeit auf bis zu 12 Stunden (einschließlich der Ruhepausen) erhöht werden kann. Zuvor lag sie bei 10,5 Stunden.
  • Mit der Änderung von Abschnitt 59 wird die Art und Weise, wie Überstundenlöhne in den Betrieben berechnet werden, geändert. Sie ermöglicht es der Regierung, die tägliche oder wöchentliche Arbeitszeit vorzuschreiben, ab der den Arbeiter*innen Überstundenzuschläge zu zahlen sind. Nach geltendem Recht haben die Arbeiter*innen Anspruch auf Überstundenzuschläge, wenn die Arbeitszeit 9 Stunden pro Tag überschreitet.
  • Abschnitt 65 wurde geändert, um die zulässigen Überstunden von 75 auf 144 Stunden im Quartal zu erhöhen.
  • Abschnitt 66 erlaubt es Frauen nun, nach 19 Uhr in Fabriken zu arbeiten, vorausgesetzt, die Arbeitgeber*in sorgt für Sicherheitsvorkehrungen und holt die schriftliche Zustimmung der Arbeiter*innen ein.

Mögliche Auswirkungen auf Arbeiter*innen im Bekleidungssektor Karnatakas

Textilarbeiterinnen verlassen das Fabrikgebäude© CIVIDEP, IndienDas geänderte Gesetz gibt den Fabriken die Flexibilität, über die Arbeitszeiten pro Tag zu entscheiden, einschließlich 12-Stunden-Schichten. Dies steht im Widerspruch zu den Bestimmungen des ILO-Übereinkommen über die Arbeitszeit 1919, das den Grundsatz eines 8-Stunden-Arbeitstages vorsieht. Indien, ein Gründungsmitglied der ILO, hat dieses Übereinkommen seit 1921 in Kraft.

Auch wenn die höchstzulässige Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden begrenzt ist, bietet sie doch Spielraum für nachteilige Auslegungen für die Arbeiter*innen durch Anpassung der vierteljährlichen und täglichen Obergrenzen. In Sektoren wie der Bekleidungsindustrie, in denen der Produktionsdruck bereits hoch ist, könnten die Arbeitgeber*innen die Arbeitszeiten immer wieder ändern, um sie ihrer Auftragslage zupassen. So könnten die Arbeiter*innen beispielsweise aufgefordert werden, nur in den Monaten mit hoher Produktion 12-Stunden-Schichten zu arbeiten und keine Überstundenzuschläge zu zahlen.

Bei den in der Branche vorherrschenden Niedriglöhnen werden die 12-Stunden-Schichten oder die 4-Tage-Woche die Arbeiter*innen dazu zwingen, informelle oder Gelegenheitsjobs anzunehmen, um mehr zu verdienen – mit weiteren negativen Folgen für ihre Gesundheit. Selbst wenn Überstunden zu höheren Sätzen vergütet werden, ist gemäß einer langen Reihe von ILO-Übereinkommen eine gesetzliche Kontrolle der Überstunden erforderlich. Diese sind im Folgenden aufgeführt: (a) Übereinkommen über die wöchentliche Ruhezeit (Industrie), 1921 (Nr. 14), (b) Übereinkommen über die Vierzig-Stunden-Woche, 1935 (Nr. 47), (c) Übereinkommen über bezahlten Urlaub (revidiert), 1970 (Nr. 132) und (d) Empfehlung zur Verkürzung der Arbeitszeit, 1962 (Nr. 116)

Es liegt auf der Hand, dass es einer stärkeren Überwachung durch die Arbeitsaufsicht bedarf, um sicherzustellen, dass Überstunden nur in Ausnahmefällen geleistet werden und dass die Arbeiter*innen für Überstunden bezahlt werden.

Zusätzliche Belastung für Frauen: Die 12-Stunden-Schichten sind für Frauen ungeeignet, wenn man bedenkt, dass sie aufgrund der unverhältnismäßig hohen Belastung durch Pflegearbeit und lange Arbeitswege in Zeitnot geraten. Das geänderte Gesetz berücksichtigt nicht die Bedürfnisse schwangerer Arbeiterinnen, die von diesen Schichten am meisten betroffen sein werden. Die geänderten Vorschriften werden die Teilnahme von Arbeiter*innen am Arbeitsmarkt weiter erschweren.

Da die Mehrheit der Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie Karnatakas Frauen sind, kann die Änderung - die es Frauen erlaubt, Nachtschichten zu arbeiten - ernsthafte Auswirkungen auf die Sicherheit haben. Obwohl der Gesetzentwurf den Arbeitgeber*innen die Pflicht auferlegt, Einrichtungen zur Gewährleistung der Sicherheit zu schaffen, gibt es kaum Einzelheiten über die Kostenkalkulation und den Umsetzungsplan. Zu den Bestimmungen gehören eine angemessene Anzahl von Frauen in Nachtschichten, sichere Transportmöglichkeiten mit geprüften Fahrern, vorher festgelegte Routen und weibliches Sicherheitspersonal. Ohne klare Vorgaben für die Umsetzung wäre die Einhaltung der Vorschriften weder einheitlich noch wirksam, da die Kosten die meisten Zulieferer mit geringeren Gewinnaussichten abschrecken würden.

Diese Änderung widerspricht dem Geist des ILO-Protokolls von 1990 zum Übereinkommen über Nachtarbeit (Frauen) (P089), in dem Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeiter*innen bzw. ihren Vertreter*innen gefordert werden, um über Nachtarbeit für Frauen zu entscheiden. Das ILO-Übereinkommen sieht Schutzmaßnahmen für schwangere Arbeiter*innen vor, die Nachtschichten leisten. Der Gesetzentwurf enthält keinen Hinweis auf eine dieser Schutzmaßnahmen für Arbeiter*innen.

Frage der Zustimmung: Die Zustimmung der Arbeiter*innen zur Produktionsflexibilität ist ein wichtiger Schutz. Es wurde jedoch den einzelnen Arbeitgeber*innen überlassen, diesen Zustimmungsmechanismus anzuwenden. Es ist auch unklar, ob diese Zustimmungsregelung auf individueller Ebene oder auf kollektiver Ebene unter Einbeziehung der Gewerkschaften funktionieren würde - was den Arbeitgeber*innen (und Marken) einen großen Spielraum für spezifische Lösungen lässt. Die Änderung von Abschnitt 54 bietet lediglich den Hinweis, dass die Zustimmung der Arbeiter*innen zu solchen Änderungen schriftlich erfolgen sollte.

Die mögliche Erhöhung der täglichen Arbeitszeit, einschließlich 12-Stunden-Schichten, und die Änderungen bei den zulässigen Überstunden könnten sich ebenfalls nachteilig auf den Verbleib der Arbeiter*innen in der Bekleidungsindustrie auswirken. Der soziale Reproduktionsdruck, einschließlich Kinderbetreuung und Haushaltspflichten, wird von diesen Arbeiter*innen in unverhältnismäßigem Maße getragen. Jede Erhöhung der täglichen Arbeitszeit stellt eine zusätzliche Belastung dar und könnte letztendlich ihre Teilnahme am Arbeitsmarkt verhindern.

Erhöhtes Belästigungsrisiko: Verbale Belästigung und produktionsbedingter Druck auf die Beschäftigten waren in der Bekleidungsindustrie schon immer hoch. Durch die zunehmende zeitliche Streuung und die vielen Arbeitsstunden ohne Ruhepausen sind sie nun einem erhöhten Risiko von Belästigung und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Fehlende Beschwerdesysteme und Kommunikationsmechanismen in den Fabriken erschweren es den Arbeiter*innen zusätzlich, Vorfälle und Beschwerden zu melden.

Lange Arbeitszeiten und vermehrte Überstunden können sich auf die Gesundheit auswirken. Dies könnte auch zu einer Zunahme von Arbeitsunfällen und Verletzungen führen. In den meisten Fabriken fehlt es an einer grundlegenden medizinischen Infrastruktur; Gesetzesänderungen haben bisher keine Verbesserung dieser Einrichtungen vorgesehen.

Mit dem geänderten Gesetz wurden zwar die zulässigen Überstunden von 75 auf 144 Stunden pro Quartal angehoben, doch bleibt unklar, wie die Überstundenvergütung berechnet werden soll. Da die Arbeiter*innen keine kollektive Vertretung haben, könnten sie durch die Änderungen bei den Überstundenlöhnen benachteiligt werden. Die Nichtzahlung dieser Löhne ist bereits ein Problem, und die Änderungen könnten die rechtzeitige Auszahlung weiter erschweren.

Arbeiter*innenkollektive reagieren

  • Der gemeinsame Gewerkschaftsausschuss, der sich aus nationalen Gewerkschaften zusammensetzt, hat sich gegen die Änderung des Fabrikgesetzes ausgesprochen und als einen Schritt gegen die Interessen der Arbeiter*innen bezeichnet. Es ziele darauf ab, den Arbeitgeber*innen zu helfen, die Arbeitskosten zu senken.
  • Viele Gewerkschaften haben in ganz Karnataka Demonstrationen gegen die Änderungen organisiert, und einige haben den Gouverneur des Bundesstaates aufgefordert, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen.
  • Der All-India Trade Union Congress (AITUC) hat bei der ILO eine Beschwerde über die Änderungen des Fabrikgesetzes in Karnataka eingereicht. Er wies darauf hin, dass das Änderungsgesetz gegen ILO-Übereinkommen und -Erklärungen verstößt, die Indien unterzeichnet hat.
  • Das Centre of Indian Trade Unions (CITU) erklärt in seinem Schreiben an den Gouverneur des Bundesstaates Karnataka, dass der Anteil der Löhne am Nettoertrag (NVA) in Karnataka im Vergleich zum nationalen Durchschnitt niedrig ist. Er beträgt 15,04 %, während der nationale Durchschnitt bei 18,87 % liegt, wie aus den Zahlen der jährlichen Industrieerhebung (2019-20) hervorgeht. Im Gegensatz dazu beträgt der Anteil der Gewinne der Arbeitgeber an der NVA 46,11 %, während der nationale Durchschnitt bei 38,71 % liegt. In dem Schreiben heißt es, dass die Änderungen "den Anteil der Löhne weiter senken und den Anteil der Gewinne (der Arbeitgeber*innen) erhöhen werden".

Was globale Markenunternehmen tun können

Der Gesetzentwurf stellt eine Reihe neuer Herausforderungen dar - vom Schutz der Arbeitsrechte bis hin zur Vermeidung weiterer Menschenrechtsrisiken. Vor diesem Hintergrund können multinationale Unternehmen, die es mit einer wirksamen menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht in ihren Lieferketten ernst meinen, die folgenden Schritte unternehmen:

  • Gewährleistung menschenwürdiger Arbeit im Einklang mit internationalen Normen und Ergreifung proaktiver Maßnahmen zum Schutz der Arbeiter*innen in ihren Lieferketten in Anbetracht der Änderungen
  • Einhaltung der ILO-Norm von 8 Stunden täglicher Arbeitszeit in den Lieferketten statt Einhaltung der schlechteren Arbeitsnormen in den Produktionsländern
  • Umsetzung wirksamer Maßnahmen und Sicherheitsvorkehrungen, um sicherzustellen, dass die 12-Stunden-Schichten und Nachtschichten für weibliche Beschäftigte nicht von Zulieferern missbraucht werden
  • Dokumentation und Behebung der neuen Risiken, die sich aus den Änderungen ergeben, um eine gründliche menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung durchzuführen
  • Dialog mit Zulieferfabriken und anderen Interessensgruppen über die Auswirkungen der geänderten Gesetze auf die Arbeiter*innen in ihrer Lieferkette
  • Sicherstellen, dass die Löhne nicht unter das derzeitige Niveau gesenkt werden, und Einleitung von Maßnahmen zur Zahlung von existenzsichernden Löhnen an die Arbeiter*innen

Im Sinne der menschenwürdigen Arbeit

Sehr junge Näherin an einer veralteten Nähmaschine© CIVIDEP, IndienEine wirksame Gesetzgebung liegt in der Ausgewogenheit zwischen der Legitimierung der strengen Kontrolle des Produktionsprozesses durch Arbeitgeber*innen und der Gewährleistung ausreichender Löhne und angemessener Arbeitsbedingungen für die Arbeiter*innen. Ist dies nicht der Fall, ist es wichtig, dass Marken, Zulieferer und Arbeiter*innen zusammenkommen, um die Interessen der Arbeiter*innen auszuhandeln.

Die enge Regulierung der Arbeitszeit ist Gegenstand einer konsequenten internationalen Regulierung und Standardsetzung durch die Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation und durch die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte. In den UNGP-Leitprinzipien zu Säule 1 der staatlichen Schutzpflicht heißt es: "Es muss sichergestellt sein, dass andere Gesetze und politische Maßnahmen, die die Gründung und den laufenden Betrieb von Unternehmen regeln, wie etwa das Gesellschaftsrecht, die Achtung der Menschenrechte durch die Unternehmen nicht einschränken, sondern ermöglichen."

In der Fachliteratur zur Arbeitsgesetzgebung ist allgemein anerkannt, dass nationale Arbeitszeitgesetze für einen fairen Wettbewerb zwischen Ländern (und Regionen) sorgen und sicherstellen können, dass keine Wettbewerbsvorteile durch eine Verwässerung der wirtschaftlichen oder arbeitsplatzbezogenen Rechte der Arbeiter*innen entstehen. Diese Änderungen bergen die Gefahr, dass ein Geschäftsumfeld geschaffen wird, in dem Lieferanten gegen diese internationalen Normen verstoßen könnten.

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Der Artikel wurde von Cividep Indien verfasst und von FEMNET ins Deutsche übersetzt.

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