Nachrichten zu unserer Arbeit - Geschlechtsspezifische Gewalt an Textilarbeiterinnen

© Saskia Wulfinghoff

Internationaler Frauentag: Gewalt gegen Frauen und die Folgen

Die Zusammenhänge zwischen geschlechtsspezifischer Gewalt und den gesundheitlichen Folgen finden bisher wenige Beachtung bei den Akteuren der Textilwirtschaft. FEMNET wird sich verstärkt dem Thema widmen. Dr. Gisela Burckhardt, Vorsitzende von FEMNET und Projektkoordinatorin Sina Marx geben im Gespräch einen Einblick, warum Gesundheit im Kontext der Kampagnen- und Projektarbeit von FEMNET eine wichtige Rolle spielt.

FEMNET kämpft schon lange für menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie. Wird Gewalt gegen Frauen auch in diesem Jahr ein Schwerpunktthema sein?

Sina Marx: Wir werden weiterhin gegen Gewalt an Textilarbeiter*innen kämpfen und uns für besseren Schutz und Beschwerdemöglichkeiten für Opfer von Gewalt einsetzen. Das ist jetzt wichtiger denn je, denn die Coronakrise hat das Problem der Gewalt gegen Frauen in Fabriken wie auch zuhause einmal mehr verschärft. Das Machtgefälle in den Fabriken ist durch die existenziell bedrohliche wirtschaftliche Lage der Textilarbeiterinnen noch größer geworden: Wenn Arbeiterinnen "Unannehmlichkeiten" verursachen, indem sie sich gegen sexuelle Annäherungsversuche oder Beschimpfungen durch Vorgesetzte wehren, werden sie einfach gefeuert und eine der unzähligen arbeitslosen Arbeiterinnen ersetzt. Diese Abhängigkeiten führen dazu, dass Arbeiterinnen noch weniger über Gewalterfahrungen sprechen.

Wir wirkt sich geschlechtsspezifische Gewalt auf die Gesundheit von Frauen aus?

Sina Marx: Hier muss man unterscheiden zwischen den Auswirkungen von ökonomischer Gewalt, die besonders Frauen betrifft einerseits - also der Ausbeutung von Arbeiterinnen - und physischer Gewalt und Belästigung andererseits.

Ausbeutung ist eine der häufigsten Formen struktureller Gewalt gegen Arbeiterinnen in der Bekleidungsindustrie. Frauen erhalten für gleichwertige Arbeit weniger Lohn, sind häufiger überlastet und unterbezahlt und verrichten öfter unbezahlte Arbeit, die außerhalb der vertraglichen Vereinbarungen liegt. So haben Frauen mit armutsbedingten geschlechtsspezifischen Folgen zu kämpfen: Viele Arbeiterinnen sind nicht nur gezwungen, massive Überstunden zu leisten, sondern müssen weitere bezahlte Arbeiten verrichten (einschließlich Heimarbeit für die Textilbranche), um über die Runden zu kommen. In vielen Haushalten sind Frauen Haupt- oder Alleinverdienerinnen. Armutslöhne bringen Frauen in eine so drastische wirtschaftliche Abhängigkeit, dass sie in vielen Fällen gezwungen sind, andere Formen der Ausbeutung und Gewalt zu ertragen. Das gilt sowohl für sie selbst als auch für ihre Kinder (einschließlich sexueller Ausbeutung, Kinderarbeit und Kinderhandel). Wirtschaftliche Ausbeutung führt zu Unterernährung, Überlastung und Erschöpfung, die sich nachteilig auf die Gesundheit und Bildungschancen der Frauen und ihrer Kinder auswirken.

Gewalt spielt hier natürlich eine weitere Rolle, gerade was die psychische Gesundheit von Frauen angeht. Studien zeigen, dass viele Textilarbeiterinnen unter Angstzuständen leiden sowie unter Depressionen, sozialen Beeinträchtigungen und einem anhaltenden Gefühl der Niedergeschlagenheit.

Allerdings finden die Zusammenhänge zwischen geschlechtsspezifischer Gewalt und gesundheitlichen Auswirkungen bislang kaum Beachtung bei relevanten Akteuren, wie Gewerkschaften vor Ort aber auch den einkaufenden Unternehmen. Das müssen wir ändern, um die körperliche und psychische Gesundheit von Textilarbeiterinnen besser schützen zu können.

Welche Rolle spielen Sorgfaltspflichten und Lieferkettengesetz in diesem Zusammenhang?

Gisela Burckhardt: Gemäß der 2011 verabschiedeten UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sind Unternehmen angehalten, menschenrechtliche Risiken in ihrer Lieferkette zu erkennen und ihnen mit gezielten Maßnahmen vorzubeugen. Auch die OECD hat dies 2017 in einem Leitfaden festgehalten: für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten in der Bekleidungs- und Schuhindustrie soll z.B. bei Eintreten von Arbeitsrechtsverletzungen Abhilfe oder Entschädigung gegenüber den Betroffenen geleistet werden.

Wenn die Gesundheit von Arbeiter*innen am Arbeitsplatz gefährdet wird, so ist dies eine Arbeitsrechtsverletzung. Einkaufende europäische Unternehmen müssen sicherstellen, dass bei ihren Produzenten die Gesundheit der Arbeiter*innen nicht gefährdet ist. Da bisher die vorgeschriebenen Schritte in den UN-Leitprinzipien und auch im OECD Leitfaden nicht rechtlich einklagbar sind, benötigen wir ein Lieferkettengesetz.

Der derzeitige Entwurf der Bundesregierung ist allerdings unzureichend. So wird nicht die gesamte Lieferkette damit erfasst, sondern nur der unmittelbare Zulieferer. Das kann ein Zwischenhändler sein oder eine Konfektionsfabrik z.B. in Bangladesch. Aber die „mittelbaren“ Zulieferer in der tieferen Lieferkette wie z.B. die Spinnereien werden nicht erfasst. Es gibt eine sogenannte abgestufte Sorgfaltspflicht. Das widerspricht auch den UN-Leitprinzipien.

Auch soll das Gesetz nur für große Unternehmen ab 3000 Mitarbeit*innen zunächst gelten, viele Textilunternehmen sind aber kleiner und fallen so nicht unter das Gesetz.

Außerdem gibt es keine zivilrechtliche Haftung wie es z.B. das französische Gesetz vorsieht, aber ich sage: Ohne Haftung – keine Wirkung. Betroffene haben kaum Möglichkeiten, vor einem deutschen Gericht zu klagen.

Schließlich besteht bezüglich Geschlechtergerechtigkeit ein großer Nachbesserungsbedarf. Der Gesetzentwurf nimmt keinen Bezug auf die Frauenrechtskonvention CEDAW und die ILO Konvention 190 gegen geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz. Sowohl bei der Risikoanalyse als auch bei Präventionsmaßnahmen wird nicht auf die besonders prekäre Situation von Frauen (Lohnlücke u,ä.) hingewiesen, für die Abhilfemaßnahmen umgesetzt werden müssen.

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