GLU Aktivistinnen.

© Sina Marx/FEMNET

Für bessere Durchsetzung der Rechte von Frauen, Müttern und Kindern: Projektbesuch in Indien

Im November 2017 besuchte Sina Marx, bei FEMNET verantwortlich für den Solidaritätsfonds, die FEMNET-Partnerorganisationen Cividep und Munnade in Südindien. Mit Cividep zusammen schaute sie sich Kinderbetreuung in Bekleidungsfabriken in Bangalore an. Im Rahmen eines gemeinsamen Projektes setzen sich FEMNET und Cividep seit 2015 für eine Verbesserung der Kinderbetreuung in den Zuliefererfabriken großer Markenunternehmen ein und machen sich mit der Kampagne #WerPasstAuf? auch in Deutschland dafür stark.

Zusammen mit der von FEMNET unterstützten Nichtregierungsorganisation Munnade und der Gewerkschaft Garment Labour Union (GLU) besuchte sie Näherinnen zuhause. Hier berichtet sie von ihren Erfahrungen.

Kinderbetreuung

„Handschuhe kriegen wir nur, wenn die Einkäufer zu Besuch sind“, sagt Lakshmi. Foto: © Sina Marx/FEMNET„Handschuhe kriegen wir nur, wenn die Einkäufer zu Besuch sind“, sagt Lakshmi.  © Sina Marx/FEMNETAlles ist voller Busse, LKWs, Hupen, Abgase, Schreien. Es ist fast 18 Uhr, Feierabendzeit in Peenya, einem der wichtigsten Bezirke für die Bekleidungsindustrie in Bangalore. Tausende von Frauen strömen aus den Toren der abgeriegelten Fabrikgelände. Die Straßen hier sind tagsüber ruhig, jetzt herrscht Chaos. In der Dämmerung steigen die Frauen auf überfüllte LKW-Ladeflächen, um nach Hause zu fahren. Oder zum Gewerkschaftsbüro in der Nachbarschaft. Das Büro der frauengeführten Gewerkschaft GLU ist Zufluchtsort für viele, die mit ihrer Arbeit unzufrieden sind und daran etwas ändern wollen, auch wenn sie müde sind von der stundenlangen Arbeit, sie Hunger haben und zuhause die Kinder warten. Nach und nach trudeln die Frauen ein, die Haare voller Flusen, viele haben farbige Hände von der Kleidung.

Ich frage, wie viele der anwesenden Frauen Kinder haben. Alle 20 heben die Hand. Dann frage ich, wie viele ihre Kinder in einer Fabrikkrippe untergebracht haben. Keine Reaktion. Warum nicht? „Bei uns gibt es sowas nicht“, erzählt eine der Frauen, eine andere sagt: „Die Kinder vegetieren da einfach vor sich hin. Früher hatte ich meinen Sohn in der Krippe, aber er war immer so lethargisch, wenn ich ihn abgeholt habe.“ Viele Frauen erzählen, dass den Kindern Schlafmittel gegeben werden, damit sie still sind.

Kinderbetreuungseinrichtungen in den Fabriken - wenn es überhaupt welche gibt -, sind meist unzureichend in Bezug auf Qualität und Kapazität, obwohl sie in Indien gesetzlich vorgeschrieben sind. Das stellt die arbeitenden Mütter vor enorme Schwierigkeiten und bedeutet eine zusätzliche große Belastung. Viele Kinder werden unzureichend betreut und haben somit keine Chance auf frühkindliche Bildung oder Entwicklungsmöglichkeiten.

Später am Abend sind wir zu Besuch bei einer Näherin. Sie erzählt, dass ihr Mann sie vor drei Jahren verlassen hat. Seitdem verdient sie allein den Lebensunterhalt für die Familie.

Zu Besuch bei einer Näherin (Mitte): Die vierköpfige Familie wohnt in einem Zimmer. Sechs Familien teilen sich zwei Toiletten im Hof. Die Nachbarinnen arbeiten auch in der Bekleidungsindustrie. Foto: © Sina Marx/FEMNETZu Besuch bei einer Näherin (Mitte): Die vierköpfige Familie wohnt in einem Zimmer. Sechs Familien teilen sich zwei Toiletten im Hof. Die Nachbarinnen arbeiten auch in der Bekleidungsindustrie. 
© Sina Marx/FEMNET

Sie muss einen Kredit abbezahlen, den sie aufgenommen hat, um ihre Kinder betreuen zu lassen: „Aber jetzt schaffe ich es nicht mehr, die Zinsen zu bezahlen. Darum sind die Kinder jetzt zuhause, mein älterer Sohn geht nicht mehr zur Schule, weil das Geld nicht für die Schuluniform reicht. Er ist dreizehn.“

Foto: © Sina Marx/FEMNETGroßmütter springen bei der Kinderbetreuung ein.
© Sina Marx/FEMNET
Die Großmutter passt tagsüber auf die Kinder auf und erzählt, dass ihre Tochter nicht mehr isst vor lauter Sorgen. Der Großteil der Fabrikarbeiterinnen sind alleinerziehend oder zumindest die Ernährerin der Familie. „Die Männer sind oft einfach abgehauen oder trinken.“, erzählen die Gewerkschafterinnen. „Wenn der Mann auch etwas zum Lebensunterhalt beiträgt, dann unregelmäßig. Die Männer fahren z.B. Rikscha oder sind Tagelöhner auf dem Bau. Die Arbeitsbedingungen sind in den Fabriken zwar schlecht, aber die Frauen haben so zumindest eine minimale Sozialversicherung und eine Krankenversicherung, die auch für die Kinder gilt. Darum ist die Arbeit in der Fabrik so wichtig für sie. Wenn sie nach der Geburt dann aufhören müssen zu arbeiten, weil die Kinderbetreuung sich nicht mit der Arbeit vereinbaren lässt, verliert die Familie diese Absicherung.“

Kitakind mit Betreuerin. Foto: © Sina Marx/FEMNETKitakind mit Betreuerin. © Sina Marx/FEMNETZusammen mit Cividep besuche ich an einem anderen Tag einen Fabrikkindergarten mit Krippe, der im Rahmen des gemeinsamen Pilotprojektes zu Kinderbetreuung im Jahr 2016 deutlich verbessert wurde: Das Personal wurde intensiv pädagogisch weitergebildet und von erfahrenen Pädagoginnen betreut, es wurde ein Lehrplan für die größeren Kinder entwickelt und die Krippe auch für Säuglinge ausgestattet. So können die Arbeiterinnen ihre Kinder auch dann mitbringen, wenn sie direkt nach dem Mutterschaftsurlaub weiterarbeiten wollen oder müssen. „Ich habe meine Tochter hergebracht, da war sie noch sehr klein, denn wir können alle zwei Stunden herkommen um zu stillen. Es ist eine große Erleichterung zu wissen, dass meine Tochter in meiner Nähe und in guten Händen ist!“ berichtet eine Mutter, die in ihrer Mittagspause ihr Kind besucht.

Der Besitzer der Fabriken hatte sich im Rahmen des Projektes dazu bereit erklärt, ein externes Trainingsinstitut für Montessori-Pädagogik zu engagieren, um das Personal in der Krippe zu schulen. Gute Kinderbetreuung in Fabriken ist also möglich. Sind Management und Besitzer der Fabriken jedoch weniger kooperativ - was der Regelfall ist -, sind auch die einkaufenden Unternehmen in der Pflicht. Denn Kinderbetreuung in den Fabriken ist gesetzlich vorgeschrieben! Dafür setzt sich FEMNET ein, indem wir einkaufende Markenunternehmen anschreiben und dazu auffordern, für qualitative Kinderbetreuung bei ihren Zulieferern zu sorgen.

Kitagruppe. Foto: © Sina Marx/FEMNETKitagruppe. © Sina Marx/FEMNET

Jetzt spenden