Nachrichten - Wer passt auf? Wer passt auf? Mütter und Kinder in Fabriken

Seit 2017 neues Kitaprojekt in Indien

Cividep Befragung von Frauen. Foto: CIVIDEPCividep Befragung von Frauen. Foto: CIVIDEPWir setzen uns seit 2015 gemeinsam mit Cividep, unserer Partnerorganisation vor Ort, erfolgreich dafür ein, dass sich die Situation von Müttern und Kindern in der Branche verbessert.

Cividep hat zu verschiedenen Zeitpunkten (2008, 2012, 2015 und 2017) Studien durchgeführt, um an konkrete Daten zur Betreuung von Kleinkindern und zur Arbeitssituation der Mütter zu kommen und zu überprüfen, ob ein Fortschritt zu beobachten ist. Auf dieser Grundlage leisten wir sowohl in Indien als auch in Deutschland Bildungs- und Kampagnenarbeit.

Die Ergebnisse der Studie 2017 zeigen deutlich, dass unsere bisherige gemeinsame Arbeit Wirkung gezeigt hat: In allen der 20 untersuchten Fabriken gab es tatsächlich eine Krippe. Die Fabriken beliefern 10 große internationale Markenunternehmen: H&M, C&A, Levi's, Adidas, Marc O'Polo, Primark, Bestseller, Zalando (Zlabels), Cecil GMBH und H.I.S. Textil. Dennoch bestehen viele der in früheren Studien aufgezeigten Probleme noch immer, u.a.:

  • Altersbeschränkungen in den Krippen: Säuglinge und Kinder über vier Jahren werden ausgeschlossen, sodass viele Frauen gezwungen sind, die Arbeit aufzugeben oder die Kinder aufgrund der fehlenden Betreuung entsprechend gefährdeter sind
  • Unangemessene Betreuung: mangelnde Ausstattung mit Spielzeug, Lernmaterialien, Nahrungsmitteln und qualifiziertem Personal
  • Mütter werden zum Teil von der Arbeit weggerufen, um Kinder zu wickeln o.ä.
  • Inadäquate Umsetzung von Mutterschutz: 70% der Arbeiterinnen berichten, dass eine unbezahlte Verlängerung des Mutterschaftsurlaubes trotz gesetzlicher Vorschrift kaum möglich war oder sie eine Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses befürchteten
  • Inadäquate Umsetzung von medizinischer Versorgung schwangerer Arbeiterinnen: Der Großteil der Fabriken stellt Vor- und Nachsorge für Arbeiterinnen nicht zur Verfügung, obwohl diese Versorgung durch den Arbeitgeber gesetzlich vorgeschrieben ist

Alle von Cividep durchgeführten Studien zeigten auf, dass der Großteil der Frauen ihre Kinder lieber in einer Fabrikkrippe betreut wüssten, als in einem lokalen Kindergarten. Da Säuglinge in den Krippen jedoch nicht zugelassen sind, werden die meisten Mütter gezwungen, zu entscheiden, ob sie sich um ihre Kinder kümmern oder für den Lebensunterhalt sorgen. Zudem haben Arbeiter*innen zwar das Recht, Gewerkschaften zu gründen (Trade Union Act 1926), aber die Fabrikleitungen sind rechtlich nicht gezwungen, einen Betriebsrat/Gewerkschaft innerhalb ihrer Geschäftsräume anzuerkennen. Dementsprechend gibt es nahezu keine Fabrikgewerkschaft für Textilarbeiter*innen in Bangalore, was durch die Studie in 2017 einmal mehr bestätigt wurde (in keiner der 20 Fabriken gab es eine Fabrikgewerkschaft).

Projekt ab 2017

Zusammen mit Cividep wollen wir von September 2017 bis August 2019 die oben genannten Probleme angehen und im Einzelnen folgende Ziele erreichen:

  • Mindestens 800 Kinder unter sechs Jahren sollen im Rahmen des Projektes qualitativ hochwertige Betreuung und Bildung in den Krippen von 20 Fabriken erhalten. Die Qualität der Werkskrippen wird von den zuständigen Behörden gemeinsam mit den Gewerkschaften kontrolliert und wird als Kriterium in die Audits der Fabriken übernommen
  • Konsultationen zum Thema Kinderbetreuung bringen einkaufende Markenunternehmen, Zulieferer und zivilgesellschaftliche Akteure an einen Tisch. Sie erarbeiten Best Practices und führen zu einer besseren Zusammenarbeit bei der Kinderbetreuung und des Mutterschutzes
  • Dialogveranstaltungen mit den einkaufenden Unternehmen, sowie Kampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit in Indien und Deutschland sorgen dafür, dass Unternehmen die Themen Kinderbetreuung und Mutterschutz bei ihren Zulieferern einfordern und diese in der Umsetzung unterstützen
  • Mindestens 20 Vertreter*innen des Fabrikmanagements werden geschult, damit sie Kinderbetreuung und Mutterschutz als integrale Bestandteile der Mitarbeiterbindung verstehen lernen. Sie sollen das Aufsichtspersonal in den Betrieben dazu anzuleiten, Probleme bei Kinderbetreuung und Mutterschutz zu identifizieren und zu lösen
  • 150 Mitglieder lokaler Gewerkschaften und NRO werden besser über Kinderbetreuung und Mutterschutz als Arbeitsrechte informiert, um sie in die Lage zu versetzen, diese einzufordern, deren Einhaltung zu überprüfen, Arbeiterinnen zu beraten und wenn nötig offiziell Beschwerde einzureichen
  • Die Arbeiterinnen werden auf ihre Rechte auf Kinderbetreuung und Mutterschutz aufmerksam gemacht, sodass mit gesteigertem Bewusstsein die Rechte durch die Arbeiterinnen eingefordert werden können.

Diese Aktivitäten sollen die bereits erzielten Erfolge des Pilotprojektes verankern sowie die noch immer bestehenden Missstände und Lücken angehen.

Pilotprojekt

Cividep Stakeholder Workshop. Foto: © CIVIDEPCividep Stakeholder Workshop. Foto: © CIVIDEP2015 hat FEMNET hat die indische NRO Cividep unterstützt, im Rahmen eines ersten Pilotprojekts in ein Musterbeispiel für qualifizierte Krippen zu realisieren. Mit diesem Projekt wollten wir einkaufende Unternehmen wie H&M und C&A auffordern, ihre Produzenten anzuhalten, indisches Gesetz anzuwenden und in die Pflicht zu nehmen, gute Betreuungsangebote für die Kleinkinder zu schaffen, so dass das Projekt zur „Blaupause“ für andere Firmen werden kann. Grundgedanke des Projektes ist, bessere Voraussetzungen für Kinder zu schaffen, den Teufelskreis aus Armut und Ausbeutung durchbrechen zu können und zugleich die Mütter zu entlasten.

Die einjährige Pilotphase mit einer Teil-Förderung durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) war sehr erfolgreich. Um nur einige der erreichten Ziele zu nennen:

  • Eine Bedarfsanalyse (PDF-Datei) bei Zulieferern von H&M und C&A wurde erstellt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, sodass nun konkrete Daten zur Betreuung der Kleinkinder und zur Arbeitssituation der Mütter in diesen ausgewählten Fabriken vorliegen
  • C&A sowie H&M wurden anhand der vorliegenden Daten über die Situation der Kinderbetreuung informiert und aufgefordert, dafür zu sorgen, dass ihre Hersteller in Bangalore Ein­richtungen für frühkindliche Bildung und Betreuung gemäß den gesetzlichen Vorgaben etablieren
  • Das Projekt hat das ursprüngliche Ziel, qualitativ gute Betreuungseinrichtungen für 160 Kinder sicherzustellen, übertroffen: Insgesamt werden nun 188 Kinder in bestehenden Einrichtungen von C&A Zulieferern betreut und ein weiterer Hersteller in Bangalore, Gokaldas Images, hat zugesagt, die Betreuungseinrichtungen in seinen acht Fabriken ebenfalls zu verbessern.
  • 32 Fabrikmanager wurden zum Thema Kinderbetreuung in Fabriken und zu bestehenden Gesetzen in diesem Bereich geschult, um sie in die Lage zu versetzen, bessere Kinderbetreuungseinrichtung in ihrer Fabrik einzurichten
  • 38 Kindergärterinnen wurden fortgebildet
  • 14 Krankenschwestern wurden fortgebildet
  • 2 Trainings mit 95 Gewerkschafter*innen wurden durchgeführt, um diese in die Lage zu versetzen, gezielte Kampagnen für bessere Kinderbetreuung in Fabriken durchzuführen und bei Nichteinhaltung zu klagen

Im Rahmen des Projektes fanden mehrere Multi-Stakeholder Konsultationen zum Thema Kinderbetreuung statt, die einkaufende Markenunternehmen, Zulieferer und zivilgesellschaftliche Akteure an einen Tisch brachten. Nach einem Spiegel-Artikel zu dem Thema und Druck von FEMNET erklärte sich C&A dazu bereit, sechs Zuliefererfabriken in Bangalore systematisch auf die Qualität ihrer Kinderbetreuung zu untersuchen und die sich daraus ergebenden Lücken zu schließen. So wurden die Krippen z.B. mit Lese- und Spielmaterialien ausgestattet, eine Versorgung der Kinder mit kleinen Mahlzeiten wurde sichergestellt und die Toilettenräume verbessert. C&A informierte Cividep auch nach Ende des Projektes weiterhin über die Fortschritte.

Allerdings reichen die o.g. Einführungskurse für Kindergartenpersonal natürlich nicht aus, um eine qualitativ hochwertige Betreuung der Kinder zu gewährleisten. Intensive Trainingskurse von bis zu 2 Jahren für das Kindergartenpersonal wurden daher für die kommende Projektphase geplant.

Wir arbeiten außerdem gemeinsam mit unseren Partnern in Bangladesch daran, an die Erfolge des indischen Projektes anzuknüpfen und perspektivisch die Themen Mutterschutz und Kinderbetreuung, die in Bangladesch noch deutlich schlechter umgesetzt werden, auch mit den dortigen Gewerkschaften stärker zu platzieren und die Rechte der Mütter und Kinder zu stärken.

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